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Bei der Unterstützten Kommunikation (UK) handelt es sich um ein Themenfeld, das nicht explizit in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Logopäd:innen der Logopädieausbildung (LogAPrO) erwähnt wird. Als Anfang der 1990er Jahre UK aus dem angloamerikanischen Raum nach Deutschland herüberschwappte, waren es v. a. Sonderpädagog:innen (als Vorreiterin ist hier Ursula Braun zu nennen), die sich mit Methoden der UK auseinandersetzten. Die Sonderpädagog:innen, die in Schulen mit Förderschwerpunkt (z. B. geistige oder motorische Entwicklung) arbeiteten und dort viel mit Kindern, die keine Lautsprache besaßen, zu tun hatten, konnten die neuen Möglichkeiten und Methoden der UK dort direkt ausprobieren und umsetzen.

Das erste Fachbuch für UK in der Logopädie erschien hingegen erst 2011 von der Logopädin Dr'in. Kerstin Nonn. In den empfehlenden Ausbildungsrichtlinien für staatlich anerkannte Logopädieschulen in NRW von Hartmut Zückner und Dr'in. Luise Springer wird UK nur unter cerebrale Bewegungsstörungen ein Mal explizit erwähnt. „Technische Hilfsmittel“, worunter zumindest elektronische Kommunikationshilfsmittel als ein Teil von UK gesehen werden können, werden in den Ausbildungsrichtlinien u. a. in den Bereichen Aphasie und Sprechapraxie berücksichtigt.

UK ist trotz Erscheinen des Fachbuches von Kerstin Nonn in der logopädischen Therapie nach wie vor ein Themenfeld, das wenig Beachtung findet. In der logopädischen Ausbildung werden Methoden und mögliche Hilfsmittel der UK in den meisten Fällen nicht gelehrt und demnach in der Praxis wenig angeboten. Dies scheint paradox, da Kommunikation doch neben dem Thema Schlucken das Hauptarbeitsfeld der Logopädie darstellt.

Bei der UK geht es darum, Personen, die nicht in der Lage sind, sich lautsprachlich mitzuteilen, Wege aufzuzeigen, um aktiv am kommunikativen Alltag teilnehmen und teilhaben zu können.

Der Personenkreis, der von UK profitieren kann, sind nach Kristen (2005) Personen mit angeborenen Behinderungen (z. B. kognitive Beeinträchtigungen, syndromale Geschehen, infantile Zerebralparese, Autismus-Spektrum-Störung etc.), Personen mit einer progredienten Erkrankung (z. B. ALS, MS, Parkinson etc.), Personen mit erworbenen Schädigungen (z. B. Aphasie, Sprechapraxie etc.) und Personen mit vorübergehenden Schädigungen (z. B. Tracheotomie).

Die Methoden, Wege und Hilfsmittel der UK sind vielfältig:
Es kommen sowohl körpereigene Kommunikationsformen, wie Lautsprache und einzelne Laute, Körpersprache, Mimik, Gebärden, Gesten, Zeigen, Augenbewegungen und Blickrichtung, sogar Atmung, Puls und Tonus zum Einsatz, als auch externe Kommunikationsformen, wie nicht-elektronische (z. B. Kommunikationstafeln und -bücher, Foto-, Bild- und Symbolkarten) und elektronische Kommunikationshilfsmittel.

Auch elektronische Kommunikationshilfen haben wiederum eine große Spannweite: von basalen Hilfsmitteln, wie einfache sprechende Tasten, über Talker, bis zu Geräten, die mit den Augen angesteuert werden können. Als nach wie vor prominentester Nutzer einer elektronischen Kommunikationshilfe, nämlich einer Augensteuerung, ist der im März 2018 verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking zu nennen. Dieser kommunizierte nicht nur mit seinem Hilfsmittel, er hielt obendrein Vorträge und nutzte es, um Bücher zu schreiben.

In der UK wird stets ein multimodales Kommunikationssystem angestrebt: Es werden alle Kommunikationsmöglichkeiten der betroffenen Person eingebunden, um sich verständlich machen zu können.

Für eine Legitimation des Fachbereiches innerhalb der Logopädie können bereits zu diesem Zeitpunkt Studien, die die Wirksamkeit von UK bei verschiedenen Personengruppen und Krankheiten  untermauern, herangezogen werden (z. B. Creer, Enderby, Judge und John, 2016). Natürlich ist ebenso das Fachbuch für UK in der Logopädie von Dr'in. Kerstin Nonn (2011) erneut zu erwähnen, welches eine sehr gute Grundlage für die theoretische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex bietet und die Wichtigkeit für die Logopädie herausstellt.

Auch ein Blick in verschiedene AWMF-Leitlinien (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) macht die Wichtigkeit der UK für die Ausdrucksmöglichkeiten von Personen, die mit unterschiedlichen Krankheiten bzw. Behinderungen leben oder an unterschiedlichen Krankheiten bzw. Behinderungen leiden, deutlich*:

030/010-S3-Leitlinie Idiopathisches Parkinson-Syndrom

"Empfehlung 55:
Logopädische Therapie kann die Aufrechterhaltung eines adäquaten Maßes an Kommunikationsfähigkeit während des gesamten Krankheitsverlaufes sicherstellen, hierzu können auch technische Hilfsmittel eingesetzt werden. Expertenkonsens" (S. 204)

027/051–S2k-Leitlinie Down-Syndrom

"Folgende Therapieziele können durch entsprechende Therapien erreicht werden: [...]
Logopädie:
–Sprachaufbau
-Förderung des auditiven Gedächtnisses
–Förderung der Prosodie
–Unterstützung einer besseren Artikulation
–Gebärdenunterstützte Kommunikation
–Generell: Unterstützung der Kommunikation (turn-taking etc.) [...]

Für alle, die sich nicht ausreichend ausdrücken können: alle Formen der unterstützen
Kommunikation, evtl. unterstützende technische Hilfsmittel." (S. 10 f.)

049/014-S1-Leitlinie Kommunikationsstörungen bei neurogenen Sprech- und Stimmstörungen im Erwachsenenalter, Funktionsdiagnostik und Therapie

"Unterstützte Kommunikation (UK)
Bei ausgeprägten Dysarthrien, bei Sprechapraxien oder bei zunehmenden Dysarthrien bei progredientem Krankheitsverlauf kann eine therapierefraktäre Sprechunfähigkeit (Anarthrie) des Patienten vorliegen. In solchen Situationen ist eine Verbesserung der Kommunikation durch eine elektronische Kommunikationshilfe mit Sprachausgabe möglich. Diese kompensatorischen Therapiemethoden sollten bei schweren Krankheitsbildern frühzeitig in das therapeutische Konzept mit einbezogen werden. Die Ansteuerung dieser Geräte kann beispielsweise über einen Touchscreen, eine Maus, einen Joystick, eine behindertengerechte Tastatur (ggf. mit Fingerführungsgitter) oder eine Kopf- bzw. Augensteuerung erfolgen. Der Modus der Ansteuerung wird an die Fähigkeiten der Patienten angepasst. Es ist eine symbolgesteuerte oder eine schriftsprachliche Bedienung möglich. Zur individuellen Ausstattung gehören Bett- oder Rollstuhlhalterungen. [...]" (S. 14)


Lesen Sie gerne weiter unter Status Quo logopädische Praxis.


Creer, S., Enderby, P., Judge, S. & John, A. (2016). Prevalence of people who could benefit from augmentative and alternative communication (AAC) in the UK: determining the need. International Journal of Language & Communication Disorders, 51(6),639-653.

Kristen, U. (2005). Praxis Unterstützte Kommunikation: Eine Einführung. Düsseldorf: Bundesverband f. körper- u. mehrfachbehinderte Menschen.

Nonn, K. (2011). Unterstützte Kommunikation in der Logopädie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG.

*Informationen zur "Güte" und Aussagekraft der aufgeführten Leitlinien siehe Stufenklassifikation.